„Mist! Der Reifen ist platt!“
„Ganz platt?“
„Ne, zum Glück nur unten.“
Was hat ein platter Reifen mit der Stimme zu tun?
Ein Reifen hat einen Platten, wenn ihm die Luft ausgegangen ist.
Dass uns beim Singen und Sprechen (zu früh) die Luft ausgeht, ist aber auch immer wieder ein Thema in Gesangunterricht und Stimmtraining.
Z.B. für Frau R. A., die mir folgende Frage schickte, (Vielen Dank dafür! :-) ):
„Ich stelle immer wieder fest, dass ich am Ende einer Phrase oftmals nicht mehr genug Luft habe und die Töne dann „wackelig“ werden. Mein Lehrer sagt, dass ich zu viel Luft bei den Konsonanten abgebe, z.B. bei H oder F oder Sch etc. Haben Sie hier auch ein Bild, (wie den Känguruschwanz, was sehr hilft!), das das verhindern kann? Herzliche Grüße R. A.
Na klar, da gibt es so einiges! Aber zuerst ein bisschen Theorie:
Einem platten Reifen mangelt es an Spannung. Fahren wir trotzdem weiter damit, wird das Radfahren zumindest sehr anstrengend - und auf Dauer geht die Felge kaputt. Ist der Reifen dagegen zu prall aufgepumpt und hat zu viel Spannung, kann er nicht mehr flexibel abfedern und das Fahren macht auch keinen Spaß, denn der Hintern tut weh.
Es gibt also einen bestimmten Spannungsgrad, bei dem der Reifen am besten seine Aufgabe erfüllen kann.
Beim Singen oder Sprechen ist das mit der Körperspannung so ähnlich. Haben wir zu viel oder zu wenig davon, leidet der Klang.
Die Ausatmung verlängern
Während der sog. Ruheatmung dauern Ein- und Ausatmung etwa gleich lang. Beim Singen und Sprechen muss aber die Ausatmung deutlich verlängert werden, denn nur die ausgeatmete Luft versetzt unsere Stimmlippen in Schwingungen, so dass in der Folge Klang entstehen kann.
Unsere Körperspannung bzw. „Stütze“ sorgt dafür, dass mit möglichst wenig Ausatmungsdruck (abgegebener Luft) möglichst viel Klang an den Stimmlippen entstehen kann. Unsere Atemmuskulatur hilft, die Luft dafür genau richtig zu dosieren.
Es gibt im Körper Muskeln, die für die Einatmung zuständig sind, und solche, die bei der Ausatmung aktiv werden.
Beim Einatmen weiten sie den Brustkorb und flachen das Zwerchfell ab, die Bauchdecke entspannt und wölbt sich ein wenig vor. Die Lungen füllen sich mit Luft. (Hilfreich ist auch der Gedanke, mit der Einatmung „den Rücken zu weiten“.)
Beim Ausatmen passiert normalerweise das Gegenteil. Der Brustkorb senkt sich wieder ab, das Zwerchfell steigt an, die Bauchdecke geht ein wenig rein, und so entweicht die Luft aus den Lungen.
Um die Ausatmung zu verlängern, ist der „Trick“ nun, dass wir versuchen, die Atemmuskulatur in „Einatmungstendenz“ oder „Einatmungsspannung“ zu lassen, obwohl wir ausatmen (singend oder sprechend). D. h., wir versuchen, den Körper geweitet zu halten, obwohl wir ausatmen.
Stell Dir vor, Dein Fahrradreifen hätte ein kleines Loch durch das Luft entweicht, aber er bliebe trotzdem in Form und unter Spannung, weil er es einfach kann... Nicht uncool, oder?
Genau diese Aufgabe übernimmt unsere Atem-Stütze. Naja, irgendwann kommt auch die besttrainierte Atem- oder Stützmuskulatur an ihre Grenzen, und dann hilft nur noch Luft holen.
Beim Singen und Sprechen nicht mit Luft vollpumpen!
Damit das Luftholen möglichst schnell und unauffällig geht, ist es zum einen wichtig, dass die Muskulatur vorher nicht überspannt oder verkrampft war. Zum anderen ist aber auch zu beachten, beim Luftholen nicht vor lauter Ehrgeiz zu viel einzuatmen. Das kann nämlich passieren, wenn wir uns zu sehr mit Luft vollpumpen. Dann wird unsere Atemführung unflexibel. Hier ist in einem Video erklärt, wie es funktionieren kann.
Wenn der Lehrer Frau R. A. sagt, dass sie „bei den Konsonanten zu viel Luft abgibt“, dann hat das wahrscheinlich seine Ursache in „zu wenig Körperspannung“. Die Luft konnte zu schnell wieder aus dem Körper entweichen.
Was hilft bei der richtigen Atmung?
Na logisch: Training der Stützmuskulatur (es dauert allerdings eine Zeit, bis sie aufgebaut ist, also Geduld!)
1. Tu doch mal so, als zögest Du beim Singen etwas sehr Schweres zu Dir heran (wie diese Typen bei „Wetten dass“, die LKW mit Muskelkraft bewegen...). Dabei nicht die Luft stauen, nur sehr gut dosiert abgeben. Du solltest die körperliche Anstrengung wirklich spüren in der Rückenmuskulatur, in den Rippen und Flanken, auch etwas im Bauch.
2. Wenn du Dir vorstellst, Du musst jemandem, der sehr weit entfernt steht, etwas Wichtiges mitteilen, aber Du darfst nur flüstern, was passiert dann in Deinem Körper? Diese „Flüsterspannung“ hilft ebenfalls, den Körper zu aktivieren. Du kannst sie auch aufs Singen übertragen.
3. Begleite die Phrasen, die Du singen oder sprechen möchtest, mit einer großen Armbewegung. Zeichne in der Luft einen Bogen, der wirklich exakt dann endet, wenn Deine Phrase zu Ende ist. Wichtig: Keine laschen Bewegungen! Stell Dir die Kraft vor, die Du bräuchtest, um eine Wand zu streichen oder ein Fenster zu putzen.
4. Tu bei der Einatmung so, als würdest Du durch einen Strohhalm Luft einsaugen. Die Schultern bleiben locker hängen. Kannst Du spüren, wo sich Dein Körper weitet?
Versuch, die Luft auch in den unteren Rücken zu lenken und dort eine Weitung zu spüren. Versuch beim Singen dann, diesen geweiteten Zustand aufrecht zu erhalten, OHNE zu verkrampfen. Die Luft muss trotzdem fließen und soll nicht gestaut werden.
5. Vielleicht hilft Dir die Vorstellung, einatmend zu singen? Es gibt den italienischen Ausdruck des „inhalare la voce“. Der trifft es sehr gut. Er hat noch den positiven zusätzlichen Effekt, dass der Kehlkopf in einer tiefen, fürs Singen günstigen Position bleibt.
Wichtig ist außerdem:
6. Vor der Einatmung wirklich gut abspannen. Hier nochmal das Video, das erklärt, worauf Du achten solltest. Die Weitung des Körpers solltest Du bis ins Becken spüren können.
Beschäftigung mit Konsonanten greift zu kurz
Nochmal zurück zu den erwähnten Konsonanten, bei denen „zu viel Luft abgegeben wird“. Reine Konzentration auf die Aussprache ist im Grunde Flickschusterei. Bei einem Loch im Reifen hilft ein aufgeklebtes Kaugummi nur sehr kurz...
Wenn Du trotzdem an dieser Stelle ansetzen möchtest, dann kannst Du versuchen, statt „p“ „b“ zu artikulieren, statt „t“ ein „d“ oder statt „k“ „g“. Das ist aber nur die Spitze des Eisberges.
Das waren verschiedene technische Aspekte für einen längeren Atem.
Mein persönlich wichtigster Tipp:
Entspann Dich!
Wenn jemand lange Phrasen singen und schön gestalten kann, ist das toll. Aber wenn man zwischendurch atmet, ist es auch nicht schlimm. Lieber öfter atmen und dafür entspannt singen, als verkrampft und gestresst lange Bögen erzwingen.
Du kannst auch einfach mal probieren, Dein Stück so schnell zu singen, dass Du kein Problem mit der Länge der Phrasen hast. Du kannst dann musikalische Bögen leichter erkennen, und leichter auf Zielpunkte zu singen. Wenn das locker möglich und körperlich abgespeichert ist, versuchst Du es ein wenig langsamer.
Ruhe und Gelassenheit beim Atmen
Das Atmungsthema braucht Geduld und viel Training. Je mehr wir uns damit stressen, desto schwieriger wird es, die dafür benötigte Ruhe und Gelassenheit zu finden. Mit klug gewählten Atemzäsuren kann ein Stück auch sehr schön gesungen werden, ohne dass wir uns unter Druck setzen müssen. Wir müssen es nur „gut rüberbringen“ und sollten darum lieber selbstbewusst und selbstverständlich atmen als verdruckst und mit hektischem Schnappen.
Es hilft, sich einfach zu erlauben, so oft zu atmen wie es nötig ist (anders geht es ja sowieso nicht!). Die Hauptsache ist schließlich, dass die Stimme schön klingt und wir uns auf das konzentrieren, was wir ausdrücken wollen.
Das ganze Atem- und Stützthema erklärt sich natürlich besser am lebenden Objekt. Jede*r hat andere körperliche Voraussetzungen, manche zu viel, andere zu wenig Spannung. Gefragt sind also individuelle Lösungen und eine große Bandbreite an Reaktionsweisen, denn auch die Tagesverfassung kann einen Einfluss haben.
Für individuelle Hilfe meld Dich gerne bei mir – online oder vor Ort in Hannover können wir jederzeit gerne einen Termin zum Kennenlernen für Gesangsunterricht oder Stimmtraining vereinbaren.
Hast Du auch eine Frage zu einem Stimm-Thema? Dann immer her damit!
Viel StimmErfolg wünscht Dir
Miriam
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